19.08.2021 - 14:10 Uhr
Afghanistan: Wer sind die Taliban und was wollen sie?
Mit der Berichterstattung und den schrecklichen Bildern aus Afghanistan kehren auch die Taliban wieder verstärkt in die Öffentlichkeit hierzulande zurück und mit ihnen viele Fragen. Wer ist diese Organisation, vor der sich ein ganzes Land fürchtet?. Sind sie noch die selben wie vor zwanzig Jahren? Das alles, was Afghanistan nun bevorsteht und wie ihr helfen könnt, haben wir hier für euch hier zusammengefasst.
Ursprung
Wann und vor allem wie genau die Taliban ins Leben gerufen wurden, ist schwer zurückzuverfolgen. Man geht allerdings davon aus, dass die Ideologie Mitte der 90er, nachdem die Sowjetunion sich aus Afghanistan zurückzog, in religiösen Seminaren Fuß fasste. Diese Seminare sollen vor allem mit Geldern aus Saudi-Arabien finanziert worden sein und in ihnen lehrte man eine besonders radikal ausgelegte Version des Sunnitentums (Größte Glaubensgruppe im Islam). Auch wenn Pakistan ihre Rolle in der Machtübernahme der Taliban bis heute abstreiten, gilt es als offenes Geheimnis, dass ein Großteil der Anhänger in den ersten Jahren aus pakistanischen Religions-Schulen stammten.
Nachdem die Soviets Afghanistan sich selbst überließen, fiel das Land ins Chaos. Die dafür verantwortlichen Mujahedin (islamische Unabhängigkeits-Kämpfer) zerfielen in zahlreiche Splittergruppen, die mittels Korruption und gnadenloser Brutalität um die Vormacht kämpften. Das war der Moment, auf den die Taliban warteten. Ihr Versprechen dem Land wieder Frieden zu bringen und es zurück zu seinen islamischen Wurzeln zu führen, fand inmitten der Gewalt und der Anarchie großen Anklang. So dauerte es auch nicht lange, bis die Taliban die Macht über das gesamte Land übernahmen. Innerhalb von zwei Jahren kontrollierten sie 90% Afghanistans, 1996 eroberten sie Kabul und überwarfen das herrschende Regime.
Wie regieren die Taliban?
Die anfängliche Euphorie verfolg allerdings relativ schnell, als der Bevölkerung bewusst wurde, wie radikal die Taliban das Sharia-Gesetz in dem von ihnen ausgerufene Islamischen Staat auslegten. Öffentliche Bestrafungen, wie Auspeitschungen, Amputationen und sogar Exekutionen standen an der Tagesordnung. Andere Religionen wurden verboten, ihre Verehrung unter Strafe gestellt. Darüber hinaus wurden Männer gezwungen Bärte zu tragen und die Rechte der Frauen wurde auf ein absolutes Minimum eingeschränkt. Konkret hieß das: Ihnen wurde verboten zur Schule zu gehen, einen Großteil an Jobs auszuüben oder unverschleiert das Haus zu verlassen. Auch jegliche Form der Unterhaltung (Kino, Musik, Fernsehen) wurde verboten und unter Strafe gestellt.
Taliban und Al Qaeda
Afghanistan wurde zum Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit, als die Terror-Organisation Al Qaeda am 11. September 2001 einen Anschlag auf das World Trade Center in New York verübte. Nachdem sich die Taliban weigerten Osama Bin Laden, den Anführer und Strippenzieher der Gruppe der amerikanischen Regierung auszuliefern, marschierte die USA unter Bushs Befehl ein. Binnen weniger als zwölf Monate kollabierte die Taliban-Regierung. Zahlreiche hohe Tiere (unter ihnen auch Bin Laden) flohen ins Hinterland und nach Pakistan.
Neugruppierung im Hinterland
In den nächste zwanzig Jahren gruppierten sich die Taliban neu. Im Hinterland fanden sie erneut Zuwachs (auch erneut aus Pakistan) und schafften es die stetig wachsende ausländische Militärpräsenz in Schach zu halten. Hinzu kam, dass sie ihre Strategie grundlegend veränderten. Statt des offenen Konflikts, setzen sie auf zielgerichtete Anschläge gegen Aktivisten, Frauen in Machtpositionen und Journalisten. Sie spielten ein Katz und Maus-Spiel mit den ausländischen Truppen vor Ort, dass über die Jahre zu einem Belastungstest ausartete. Sie warteten nur auf den Tag, an dem die USA, Deutschland etc. aus dem Land abzogen und ihnen wieder freie Bahn überließen. Und mit Donald Trump als Präsidenten, kam dieser Tag sogar früher als gedacht. 2020 verhandelte der ehemalige Präsident der USA einen Friedensvertag, der vorsah, dass sämtliche Truppen bis Mitte des Jahres 2021 das Land verlassen werden. Sein Nachfolger Joe Biden unterstützte dieses Vorhaben und setzte es, trotz erster Vorstöße der Taliban und des Nichteinhaltens des Versprechens Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung zu suchen, unbeirrt durch.
Erneute Machtübernahme
Und so passierte, was unvermeidbar war. Nur wenige Tage nachdem die letzten ausländischen Truppen das Land verließen, setzten die Taliban eine neue Offensive in Gang, die wie bereits in en 90ern in Rekordzeit über das Land hinwegfegte. Wieder ist es die Nähe zum Volk die ihnen das ermöglichte. Die afghanische Armee, stellte aufgrund zunehmend schwindender Moral keinen großen Widerstand dar, Teile der Bevölkerung waren allein auf Basis der geteilten Euphorie über die „Befreiung“ der ausländischen Truppen ebenso wenig ein Hindernis. So schafften es Taliban knapp zwanzig Jahre, nachdem ihr Regime gestürzt wurde, wieder die Macht über Kabul zu übernehmen.
Taliban 2021: Alte Hässlichkeit in neuem Gewand
In den zwanzig Jahren im Hinterland haben die Taliban viel über ihr öffentliches Auftreten dazu gelernt. Vergessen sind die Hassreden, die öffentlichen Hinrichtungen und die Bindungen zu Al-Qaeda, zumindest wenn man den Worten der Anführer glaubt. Nach außen versuchen die Taliban ein weltfreundlicheres, weniger radikales Image zu vermitteln. Immer wieder versichern sie der Bevölkerung Sicherheit und Frieden, beteuern auf körperliche Strafen verzichten zu wollen. Auch Frauen sollen wieder zur Schule gehen dürfen, und Journalisten sollen in ihrer Arbeit nicht allzu sehr eingeschränkt werden.
Langzeitliche Beobachter der Taliban sowie ein großer Teil der Bevölkerung Afghanistans halten diese Worte allerdings für heiße Luft. Die Bindung zu Al Qaeda und neuerdings auch dem IS soll Insidern zufolge so stark wie eh und je sein und erste Berichte von Gewaltakten und Einschränkungen für Frauen, versetzten einen Großteil der Bevölkerung in helle Panik. In deren Folge sie mit allen Mitteln versuchten aus dem Land und einer Zukunft unter einem Taliban-Regime zu entkommen. Diese wiederum versuchen dies mit allen Mitteln zu verhindern und schlugen schnell an wichtigen Flucht-Knotenpunkten, bewaffnete Stützpunkte auf. Aktuell ist nicht abzusehen, wie sich die Situation entwickeln wird, und wie radikal die Taliban ihre Ideologie durchsetzen werden. Alle Zeichen deuten jedoch auf eine Zukunft der Gewalt und Unterdrückung für die afghanische Bevölkerung hin.
Die Frage wird sein, wie nun der Rest der Welt mit dieser neuen Situation umgehen wird. Der Ausbau einer Luftbrücke, um Flüchtenden zu helfen wird von vielen gefordert. Ebenso vielen zufolge darf eine weitere militärische Intervention vorerst keine Option sein. Es muss politische Lösungen geben. Erkennt man die Taliban als legitimes Regime an und sucht erneute Verhandlungen oder denunziert man sie und provoziert womöglich weitere Terroranschläge? Keine einfachen Aufgaben, denen sich vor allem der politische Westen nun stellen muss.
Was können wir tun?
Wer den Menschen in Afghanistan in ihrer ausweglos scheinenden Situation helfen will, kann dies bei diesen Hilfsorganisationen tun.
Afghanischer Frauen-Verein (AFV)
Medica Mondiale
Afghanische Kinderhilfe e.V.
Caritas International
Darüber hinaus machen sich Organisationen wie "Seebrücke" dafür stark eine Luftbrücke zur Rettung von Flüchtenden zu errichten. In den folgenden Tagen und Wochen rufen sie in diesem Sinne zu Demonstrationen auf. Termine und weitere Infos findet ihr hier und auf ihrer Instagram-Seite.
Wann und vor allem wie genau die Taliban ins Leben gerufen wurden, ist schwer zurückzuverfolgen. Man geht allerdings davon aus, dass die Ideologie Mitte der 90er, nachdem die Sowjetunion sich aus Afghanistan zurückzog, in religiösen Seminaren Fuß fasste. Diese Seminare sollen vor allem mit Geldern aus Saudi-Arabien finanziert worden sein und in ihnen lehrte man eine besonders radikal ausgelegte Version des Sunnitentums (Größte Glaubensgruppe im Islam). Auch wenn Pakistan ihre Rolle in der Machtübernahme der Taliban bis heute abstreiten, gilt es als offenes Geheimnis, dass ein Großteil der Anhänger in den ersten Jahren aus pakistanischen Religions-Schulen stammten.
Nachdem die Soviets Afghanistan sich selbst überließen, fiel das Land ins Chaos. Die dafür verantwortlichen Mujahedin (islamische Unabhängigkeits-Kämpfer) zerfielen in zahlreiche Splittergruppen, die mittels Korruption und gnadenloser Brutalität um die Vormacht kämpften. Das war der Moment, auf den die Taliban warteten. Ihr Versprechen dem Land wieder Frieden zu bringen und es zurück zu seinen islamischen Wurzeln zu führen, fand inmitten der Gewalt und der Anarchie großen Anklang. So dauerte es auch nicht lange, bis die Taliban die Macht über das gesamte Land übernahmen. Innerhalb von zwei Jahren kontrollierten sie 90% Afghanistans, 1996 eroberten sie Kabul und überwarfen das herrschende Regime.
Wie regieren die Taliban?
Die anfängliche Euphorie verfolg allerdings relativ schnell, als der Bevölkerung bewusst wurde, wie radikal die Taliban das Sharia-Gesetz in dem von ihnen ausgerufene Islamischen Staat auslegten. Öffentliche Bestrafungen, wie Auspeitschungen, Amputationen und sogar Exekutionen standen an der Tagesordnung. Andere Religionen wurden verboten, ihre Verehrung unter Strafe gestellt. Darüber hinaus wurden Männer gezwungen Bärte zu tragen und die Rechte der Frauen wurde auf ein absolutes Minimum eingeschränkt. Konkret hieß das: Ihnen wurde verboten zur Schule zu gehen, einen Großteil an Jobs auszuüben oder unverschleiert das Haus zu verlassen. Auch jegliche Form der Unterhaltung (Kino, Musik, Fernsehen) wurde verboten und unter Strafe gestellt.
Taliban und Al Qaeda
Afghanistan wurde zum Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit, als die Terror-Organisation Al Qaeda am 11. September 2001 einen Anschlag auf das World Trade Center in New York verübte. Nachdem sich die Taliban weigerten Osama Bin Laden, den Anführer und Strippenzieher der Gruppe der amerikanischen Regierung auszuliefern, marschierte die USA unter Bushs Befehl ein. Binnen weniger als zwölf Monate kollabierte die Taliban-Regierung. Zahlreiche hohe Tiere (unter ihnen auch Bin Laden) flohen ins Hinterland und nach Pakistan.
Neugruppierung im Hinterland
In den nächste zwanzig Jahren gruppierten sich die Taliban neu. Im Hinterland fanden sie erneut Zuwachs (auch erneut aus Pakistan) und schafften es die stetig wachsende ausländische Militärpräsenz in Schach zu halten. Hinzu kam, dass sie ihre Strategie grundlegend veränderten. Statt des offenen Konflikts, setzen sie auf zielgerichtete Anschläge gegen Aktivisten, Frauen in Machtpositionen und Journalisten. Sie spielten ein Katz und Maus-Spiel mit den ausländischen Truppen vor Ort, dass über die Jahre zu einem Belastungstest ausartete. Sie warteten nur auf den Tag, an dem die USA, Deutschland etc. aus dem Land abzogen und ihnen wieder freie Bahn überließen. Und mit Donald Trump als Präsidenten, kam dieser Tag sogar früher als gedacht. 2020 verhandelte der ehemalige Präsident der USA einen Friedensvertag, der vorsah, dass sämtliche Truppen bis Mitte des Jahres 2021 das Land verlassen werden. Sein Nachfolger Joe Biden unterstützte dieses Vorhaben und setzte es, trotz erster Vorstöße der Taliban und des Nichteinhaltens des Versprechens Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung zu suchen, unbeirrt durch.
Erneute Machtübernahme
Und so passierte, was unvermeidbar war. Nur wenige Tage nachdem die letzten ausländischen Truppen das Land verließen, setzten die Taliban eine neue Offensive in Gang, die wie bereits in en 90ern in Rekordzeit über das Land hinwegfegte. Wieder ist es die Nähe zum Volk die ihnen das ermöglichte. Die afghanische Armee, stellte aufgrund zunehmend schwindender Moral keinen großen Widerstand dar, Teile der Bevölkerung waren allein auf Basis der geteilten Euphorie über die „Befreiung“ der ausländischen Truppen ebenso wenig ein Hindernis. So schafften es Taliban knapp zwanzig Jahre, nachdem ihr Regime gestürzt wurde, wieder die Macht über Kabul zu übernehmen.
Taliban 2021: Alte Hässlichkeit in neuem Gewand
In den zwanzig Jahren im Hinterland haben die Taliban viel über ihr öffentliches Auftreten dazu gelernt. Vergessen sind die Hassreden, die öffentlichen Hinrichtungen und die Bindungen zu Al-Qaeda, zumindest wenn man den Worten der Anführer glaubt. Nach außen versuchen die Taliban ein weltfreundlicheres, weniger radikales Image zu vermitteln. Immer wieder versichern sie der Bevölkerung Sicherheit und Frieden, beteuern auf körperliche Strafen verzichten zu wollen. Auch Frauen sollen wieder zur Schule gehen dürfen, und Journalisten sollen in ihrer Arbeit nicht allzu sehr eingeschränkt werden.
Langzeitliche Beobachter der Taliban sowie ein großer Teil der Bevölkerung Afghanistans halten diese Worte allerdings für heiße Luft. Die Bindung zu Al Qaeda und neuerdings auch dem IS soll Insidern zufolge so stark wie eh und je sein und erste Berichte von Gewaltakten und Einschränkungen für Frauen, versetzten einen Großteil der Bevölkerung in helle Panik. In deren Folge sie mit allen Mitteln versuchten aus dem Land und einer Zukunft unter einem Taliban-Regime zu entkommen. Diese wiederum versuchen dies mit allen Mitteln zu verhindern und schlugen schnell an wichtigen Flucht-Knotenpunkten, bewaffnete Stützpunkte auf. Aktuell ist nicht abzusehen, wie sich die Situation entwickeln wird, und wie radikal die Taliban ihre Ideologie durchsetzen werden. Alle Zeichen deuten jedoch auf eine Zukunft der Gewalt und Unterdrückung für die afghanische Bevölkerung hin.
Die Frage wird sein, wie nun der Rest der Welt mit dieser neuen Situation umgehen wird. Der Ausbau einer Luftbrücke, um Flüchtenden zu helfen wird von vielen gefordert. Ebenso vielen zufolge darf eine weitere militärische Intervention vorerst keine Option sein. Es muss politische Lösungen geben. Erkennt man die Taliban als legitimes Regime an und sucht erneute Verhandlungen oder denunziert man sie und provoziert womöglich weitere Terroranschläge? Keine einfachen Aufgaben, denen sich vor allem der politische Westen nun stellen muss.
Was können wir tun?
Wer den Menschen in Afghanistan in ihrer ausweglos scheinenden Situation helfen will, kann dies bei diesen Hilfsorganisationen tun.
Afghanischer Frauen-Verein (AFV)
Medica Mondiale
Afghanische Kinderhilfe e.V.
Caritas International
Darüber hinaus machen sich Organisationen wie "Seebrücke" dafür stark eine Luftbrücke zur Rettung von Flüchtenden zu errichten. In den folgenden Tagen und Wochen rufen sie in diesem Sinne zu Demonstrationen auf. Termine und weitere Infos findet ihr hier und auf ihrer Instagram-Seite.
Foto: Pixabay
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